Warnung: Es ist ein sehr langer und sehr ausführlicher Post!
Noch nie habe ich etwas so aufwendig verarbeitet.
Die Entscheidung an einem Mantel-Cross teilzunehmen kam sehr spontan.
Ich bemerkte bei Grasser.ru die Anzeige mit einer sehr begrenzten Teilnehmeranzahl, sah die Kosten und es war mir klar, ich muss teilnehmen.
Es handelt sich um eine Grasser-Interprätation vom Gucci-Mantel aus der Kollektion Ready-To-Wear Fall 2016.
Die Kosten für die Teilnahme betrugen 42€. Im nachhinein muss ich fast sagen, es ist fast geschenkt.
Die Kursdauer war 12.09.2017- 16.10.2017
Ich bekam einen privaten virtuellen Platz in einem virtuellen Klassenraum (geschlossener Zugang)
Anzahl der Schüler: 67
Ich weiß nicht genau, wie viele Administratoren und Kuratoren uns umsorgt haben, aber ich habe fast 24h Begleitung mit einem hochqualifizierten Kurator/Lehrerin. In meinem virtuellen Klassenraum konnte ich ihr jederzeit Fragen stellen und bekam fast immer sofort die Antworten, auch an den WE's. Der Kontakt zu den anderen Schülern fand ausschliesslich über Instagramm statt. Jeder hatte eine Eins-zu-Eins Beziehung mit seinem Kurator.
Der ganze Cross ist in 3 Etapen aufgeteilt.
Jede Etappe enthielt so um die 10 Videos mit extrem genauen Schritt für Schritt-Anleitungen auf dem höchsten professionellen Niveau mit genauer Verarbeitungstechnologie.
Ich muss ehrlich gestehen, dass ich mir niemals vorstellen konnte, dass ich von der Menge Handarbeit einmal müde werden könnte, denn ich genisse die Handarbeit immer wirklich sehr ...
Noch nie musste ich schon in dem ersten Stadium des Entstehens so viel Handarbeit leisten!
Ich glaube, ich würde diesen Mantel schon zu Kategorie Bespoke einreihen.
Ich habe es natürlich NICHT geschafft, bis zur Frist fertig zu stellen. Aber ich werde demnächst im Alleingang weiter arbeiten, denn die Begleitung der Kuratoren endet mit 16.10.2017.
Macht nix :-)
Wir konnten uns eine Variante aus 2 möglichen Alternativen aussuchen: Einreiher oder Doppelreiher.
Danach bekamen wir das Grasser-Schnittmuster, entsprechend unserer OW.
Laut Materialliste besorgte ich mir alle Zutaten.
Für den Oberstoff kaufte ich mir einen Mantelstoff: 90% Schurwolle, 10% Kaschmir. Gesucht habe ich mir Verhältnis 70% zu 30%, wo auch Polyamid sein Platz findet. Leider kollidierte die Mischung mit meiner Farbvorstellung. Warum 70% /30% und warum Polyamid? Weil Polyamid mehr Stabilität ins Ganze bringt: weniger Einsprung, weniger Knittern und Verhältnis 70 zu 30 genau die richtige Mischung ist.
Danach folgte die Anfertigung von der Probe aus Nessel.
Im Laufe der Anproben wurden einige Anpassungen gemacht. Zwischen Proben 1 und 4 liegen Korrekturen vor:
- in der Hüfte verbreitert
- Ärmelkugel um die Achse gedreht
- Balance hergestellt
- Ärmellänge verlängert
Nachdem meine Kuratorin zufrieden mit meiner Probe war, musste ich noch die Korrekturen in die Schnittmuster vom Mantel und vom Futter übertragen. Danach ging es zur Stoffdressur und Zuschnitt. Der Zuschnitt ging mir leicht von der Hand.
Danach kamen einige Tage Handarbeit.
Als Erstes mußte ich alle Teile und Kontrollpunkte mit Kreide einzeichnen.
Als Nächstes musste ich mit Reihgarn alles umfahren.
Nach 2 Tagen war ich dann soweit, dass ich alles bekleben konnte.
Die Russinen sind etwas flotter als ich. Eine Teilnehmerin hat das Bild gepostet. Das ist Ihre Zeit fürs Bekleben.
Meine Zeit war so um 2 Tage mit Unterbrechung für die Arbeit :-)
Wir haben viele unterschiedliche Arten von Klebeeinlagen gebraucht.
Ich entschied mich für Frontteile für Rascheleinlage, für die seitlichen Teile G785 und die restlichen Teile H609. Dazu kamen später noch Volumenvlies, Kantenbänder und Formband.
Dann würde jeder denken, endlich kann er jetzt nähen...
Nicht wirklich:-)!
Es folgt erst eine Anprobe mit dem Originalstoff.
Alles muss zunächst per Hand zusammengenäht werden und weil wir zur Zeit nicht bügeln dürfen, muss JEDE Naht beidseitig per Hand "abgesteppt" werden.
Und endlich kommt die ersehnte Anprobe
Und weil es so viel Spass macht, wird der Mantel bis auf die letzte Naht komplett aufgetrennt, weil es jetzt wirklich an Nähen und Formen geht :-))))
Nachdem die Brustabnäher mit der Nähmaschine genäht wurden, musste von Hand noch ein kleines Areal ums Armloch eingehalten werden, um später mit Dampf geformt zu werden, bevor es weiter gebügelt und geformt wird.
Damit man weiß, wo genau am Armloch das liegt, hab ich ein Ganzfoto gemacht. Das ist der untere Bereich links und rechts vom Kontrollpunkt.
Danach gehts es zur Bügelanlage. Ich habe alle unten gezeigte Werkzeuge benutzt und hatte das Gefühl, mir fehlt noch was. Beide Bügeleier sind grundverschieden von Beschaffenheit und Funktionalität !
Die o.g. eingehaltene Strecke am Armloch wird jetzt mit Dampf in Form gebügelt so, dass nichts mehr wellt. Danach folgt die Verstärkung mit Formband.
Anschliessend durch ein Bügeltuch wird Volumenvlies an die Vorder- und Seitenteile angebracht.
Danach darf man Vorderteile mit Seitenteilen verbinden, Brustbereich mit Dampf und Druck formen, Nähte auseinanderbügeln. Am Ende des Bügelvorgangs macht man die Kontrolle. Es dürfen keine Bügelabdrücke auf der rechten Seite des Stoffes zu sehen sein.
Als Nächstes werden die Vorderteile provisorisch an die Puppe gehängt, so dass man noch mal nachträglich den Brustbereich mit Dampf bearbeitet, die Nähte bedampft und alles mit einer Textilbürste kämmt.
Die Teile sollten danach abkühlen und eine Zeit hängen.
Erste Etape ist beendet.
Ich freue mich, dass Du das alles zu Ende gelesen hast :-)